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Wie sehr konduktive Förderung die Lebensqualität und Chancen auf Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung verbessert
Jubiläumskongress: 25 Jahre Konduktive Verbände in Deutschland in Kooperation mit der EVHN - Seit 30 Jahren leben und arbeiten in Deutschland Konduktorinnen und Konduktoren. Ihre Arbeit ist für die Entwicklung von Kindern und Erwachsenen mit Behinderung entscheidend, nur weiß kaum jemand, wie sie aussieht. Etwa 110 KonduktorInnen arbeiten heute in Deutschland - sie alle vereinen in ihrer Arbeit zentrale Bereiche des Berufs einer TherapeutIn, Lehrkraft und ErzieherIn. Eine hohe Expertise und - das ist wesentlich - man findet sie hier in einer Person. Entsprechend groß ist der Erfolg in der Rehabilitation, viele Kinder mit Behinderung können in einem konduktiven Lebensmodell später weitgehend selbstbestimmt leben. Die frühe Förderung ist dabei entscheidend. Aktuell gibt es rund 1000 Förderplätze bundesweit. Gemessen am Bedarf ist viel zu wenig. Am 1./2. Oktober 2023 feierten die Konduktiven Bundesverbände Deutschlands in Nürnberg im Rahmen eines Bildungskongresses mit über 100 Teilnehmenden an der Evangelischen Hochschule Nürnberg auch ihr 25-jähriges Bestehen. Sie hoffen auf mehr Sichtbarkeit für ihre Arbeit, damit Kinder mit Behinderung künftig mehr Teilhabe und Selbstbestimmung erlangen können.
Die Konduktive Förderung begann in Deutschland vor 30 Jahren mit kleinen Gruppen in verschiedenen Bundesländern. Multifunktionale Sprossenmöbel dienen dabei als inklusives Teilhabehilfsmittel. Spaß, Spiel, aktiv sein und Inklusion sind Teil des Konzepts. Durch eine frühzeitige, gezielte Förderung lassen sich neue Bewegungsabläufe und neurologische Verknüpfungen erwirken.
Das Berufsbild der KonduktorIn wurde von Prof. Dr. András Petö, Mediziner und Pädagoge, in der Nachkriegszeit in Ungarn entwickelt. Trotz weitreichender Fördererfolge kämpfen Eltern, Vereine und Verbände (BKF Bundesverband Konduktive Förderung nach Petö e.V./ Bundesverband der in Deutschland tätigen KonduktorInnen e.V.) bis heute für die Etablierung und Anerkennung von Konduktiver Pädagogik und Rehabilitation im deutschen Berufssystem. Aus der Not heraus wurde bis 2015 eine 2 jährige Weiterbildung zur Pädagogisch-therapeutische-KonduktorInnen von der Stiftung Pfennigparade in München angeboten. So konnte die Konduktive Pädagogik und Rehabilitation aufgebaut und am Leben erhalten werden.
Lernen durch Beziehung, Bindung und dadurch, geistig und motorisch in Bewegung zu sein
Kinder lernen nicht nur durch Lernaufgaben, sondern vor allem durch Beziehung, Bindung und dadurch, geistig und motorisch in Bewegung zu sein“, erklärt Beate Höß-Zenker, Vorstandsmitglied im BKF und Geschäftsführerin sowie Pädagogisch-therapeutische Konduktorin des Bildungsbereiches der Stiftung Pfennigparade. „Das Konzept der Konduktiven Pädagogik und Rehabilitation berücksichtigt genau diese zentralen Lernerfahrungen. Es bindet das Fachwissen von TherapeutInnen, Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften aber auch Pflege in einer Person. Durch diesen Ansatz lassen sich die Bedarfe der Kinder schnell und präzise erkennen, so dass sie jederzeit die bestmögliche, individuelle Förderung erhalten und Fortschritte machen.“
Größtmögliche Selbstbestimmung erreichen
Die Arbeit der KonduktorInnen ist dabei stets in das familiäre Umfeld eingebunden und motiviert Kinder und die Familien gleichermaßen. Hier zwei gelungene Beispiele für Konduktive Förderung.
Felicia, 20 Jahre alt, Nürnberg, hat Zerebralparese in Form einer Athetose mit Beeinträchtigung der willkürlichen Bewegung und Sprache. Sie erhielt Konduktive Förderung seit dem zweiten Lebensjahr. Ihr war immer schon wichtig alles aktiv mitzumachen und bis heute liegt ihr Schwerpunkt daran, individuelle Lösungswege zu erproben und anzuwenden. Felicia besuchte die Grundschule in einer Regelschule mit einer Schulassistenz. Bis zur Mittelstufe im Gymnasium hatte sie ein Laufrad mit drei Rädern und Platz für den Schulranzen als alternative Fortbewegungshilfe zum Rollstuhl. Ein Trip-Trap-Stuhl ermöglichte ihr eine gute Sitzposition, um im Unterricht aktiv sein zu können beim Schreiben, Lesen, Hantieren mit Material, aber auch um möglichst unkompliziert aufstehen und sich aktiv fortbewegen zu können. Heute fährt sie E-Rolli, läuft aber, wenn es sein muss, kurze Distanzen frei. Seit 2021 hat Felicia ein Persönliches Budget für Assistenzleistungen und organisiert ihren Assistenz selbständig. Sie studiert Psychologie in Fürth, engagierte sich im Behindertenrat der Stadt Nürnberg, kocht leidenschaftlich und reist sehr gern. Auch in ferne Länder.
Lisa, 26 Jahre alt aus München, hat ebenfalls Zerebralparese und konnte durch kontinuierliche konduktive Förderung einen Schritt nach dem anderen gehen - von der Mutter-Kind-Gruppe, über den Kindergarten, die Schule im konduktiven Förderzentrum Phoenix der Pfennigparade, dann zur Berufsschule. Heute arbeitet sie am Empfang der Pfennigparade und wohnt, ambulant betreut, selbstständig. Als Referentin nimmt sie immer wieder an Tagungen teil, um über ihre Erfahrungen zu berichten. Sie fährt selbstständig in die Stadt zum Einkaufen, erstellt Fotobücher von allen Events, sportelt mit dem Framerunner und umschifft die Hürden und Barrieren des Lebens mit viel Energie und großartigem Humor. Das Familienumfeld von Lisa half seit Geburt ihrer Zwillingsmädchen kontinuierlich, ohne das große Engagement und die täglichen Kämpfe um Hilfsmittel, Pflege, Förderung und „Pushs“ durch die Eltern stünde Lisa nicht da, wo sie heute ist.
KonduktorInnen arbeiten ohne echte Berufsanerkennung
Beate Höß-Zenker, unter anderem Mitglied des Vorstandes des Bundesverband Konduktive Förderung nach Petö e.V, sowie Präsidentin des Europäischen Konduktiven Verbandes hat 1995, als junge Ergotherapeutin, früh die Bedarfe erkannt – sie kennt Lisa seit sie 2 Jahre alt war. Seither setzt sie sich auch bundesweit und international für die Anerkennung und Umsetzung der Konduktiven Pädagogik und Rehabilitation ein. Bis heute sind 300 Plätze für Kinder im Alter von einem Jahr bis zum Schulabschluss in der Pfennigparade entstanden. Die erste konduktive Förderschule mit Grund- und Mittelschulstufe sowie Heilpädagogische Tagesstätten, ein konduktives Internat, konduktive Therapiebereiche und schließlich acht inklusive Kinderhäuser kamen hinzu.
Der Studienschwerpunkt Konduktive Förderung im Bachelorstudiengang Heilpädagogik an der Evangelischen Hochschule Nürnberg wurde 2017 maßgeblich durch jahrelange ehrenamtliche Tätigkeit ebenfalls implementiert(www.evhn.de/heilpaedagogik). In anderen europäischen Ländern ist man schon weiter. Der Bedarf an Förderplätzen ist hoch. Weit höher als Plätze angeboten werden können. Die Berufsanerkennung und Finanzierung lassen weiter auf sich warten. Sicher ist, Höß-Zenker, ihre Kolleginnen und Kollegen in den Verbänden sowie Krisztina Desits, Dipl. Konduktorin und erste Dozentin an der EVHN für den Schwerpunkt Konduktive Pädagogik und Inklusion, werden den Ausbau der Konduktiven Förderung vorantreiben und für die Anerkennung des Berufs weiter eintreten. Ein Masterstudium für Fachkräfte ist am Entstehen an der Universität Krems.
Damit junge Menschen wie Lisa, Felicia und andere die Möglichkeit erhalten, genauso selbstbestimmt zu leben, wie sie es wollen.
Kontakt München: Beate Höß-Zenker, Geschäftsführerin und Pädagogisch-therapeutische Konduktorin des Bildungsbereiches der Stiftung Pfennigparade, Vorstandmitglied des Bundesverband Konduktive Förderung nach Petö e.V., Präsidentin European Conductive Association, Mobilnummer: 0176.19900088
Kontakt Nürnberg: Krisztina Desits, Konduktorin und Lehrkraft für besondere Aufgaben für Konduktive Förderung & Inklusion an EVHN, Vertretung für den Verband der in Deutschland tätigen KonduktorInnen, Mobilnummer: 0171 5382327
Das Kongressprogramm finden Sie hier (pdf).
Über die Konduktive Pädagogik und Rehabilitation nach Prof. Dr. András Petö
Die Konduktive Förderung wurde als komplexes Fördersystem für Menschen mit zerebralen Bewegungsstörungen entwickelt. Heute findet der ganzheitliche, weiterentwickelte Förderansatz auf ein breites Spektrum an Behinderungen Anwendung. Mit gezielten Fördermaßnahmen sollen die durch Hirnschädigungen wie Sauerstoffmangel bei der Geburt oder Hirnblutungen entstandenen Dysfunktionen verbessert werden – man macht sich die Plastizität des Gehirns zu Nutze. Größtmögliche Aktivität, viel Wiederholen wie es Sportler auch tun, sprachliches Begleiten von Bewegungslernen und konsequente Umsetzung im Alltag des Erlernten führen zum Erfolg. Kinder, die aufgrund ihrer spastischen Bewegungsstörung oft passiv im Rollstuhl sitzen, lernen Spielen, kreativ sein und an möglichst vielen gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen. Selbstbestimmt ist das Schlagwort. Bewegung, Begegnung und Bildung sind die maßgeblichen Säulen des Konzepts, der zunehmend auch in der Inklusion Einzug findet.
Bild (v.l.n.r.): Marita Holper, 1. Vorsitzende Bundesverband für Konduktive Förderung nach Petö e. V., Beate Höß-Zenker, Geschäftsführerin und Pädagogisch-therapeutische Konduktorin des Bildungsbereiches der Stiftung Pfennigparade, Vorstandmitglied des Bundesverband Konduktive Förderung nach Petö e.V., Präsidentin European Conductive Association, Prof. Dr. Brigitte Bürkle, Vizepräsidentin Evangelische Hochschule Nürnberg (EVHN), Krisztina Desits, Konduktorin und Lehrkraft für besondere Aufgaben für Konduktive Förderung & Inklusion an EVHN, Vertretung für den Verband der in Deutschland tätigen KonduktorInnen, Stadtrat Michael Ziegler, in Vertretung für den Oberbürgermeister Marcus König der Stadt Nürnberg
Text: Stiftung Pfennigparade, Bild: EVHN
Bericht der des Bundesverband Konduktive Förderung nach Petö e.V. und des Dt. Konduktorenverband e.V. über den Jubiläumskongress (pdf)
Beitrag Frankenfernsehen (link zum Beitrag)
Beitrag BR Fernsehen, Frankenschau Aktuell (link zum Beitrag)
Beitrag BR 24 (link zum Beitrag)